Fast jeder dritte Patient in Deutschlands Krankenhäusern leidet vornehmlich unter einer somatoformen Störung. Das sind funktionelle Beschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt. Dabei kann es sich um zum Beispiel um Magen-Darm-Beschwerden wie den weit verbreiteten Reizdarm, um Schmerzen wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder Brustschmerzen oder auch um andere körperliche Beschwerden handeln.
Wenn die Patienten hören, dass ihr körperliches Leiden von unerkannten seelischen Belastungen herrühren soll, glauben das viele Menschen nicht. Dabei ist die enge Verbindung zwischen Körper und Psyche längst bewiesen. Viele Betroffene suchen statt des Psychotherapeuten dennoch weiterhin Ärzte auf, in der Hoffnung doch noch eine körperliche Ursache für ihre Beschwerden aufzuspüren.
Was ist eine somatoforme Störung?
Die somatoforme Störung ist eine Bezeichnung für all jene Erkrankungen oder Beschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt. Selbst wenn eine organische Störung vorliegt, erklärt diese die Symptome nicht hinreichend. Somatoforme Störungen sind auch unter der Bezeichnung psychosomatische Störungen bekannt. „Psychosomatisch“ meint, dass die körperlichen Beschwerden auf anhaltende seelische Belastungen zurückzuführen sind. Dabei kann es sich um aktuelle Belastungssituationen oder vergangene Negativerfahrungen wie ein Trauma handeln. Experten gehen davon aus, dass sich bei der somatoformen Störung der seelische Stress auf körperlicher Ebene ausdrückt.
Dazu muss gesagt werden, dass es eine wirklich strenge Trennung nach körperlichen Erkrankungen und somatoformen Störungen nicht gibt. Denn die moderne Medizin weiß heute, dass seelische Faktoren bei so gut wie jeder Erkrankung eine wichtige Rolle spielen – sowohl bei der Entstehung als auch bei der Aufrechterhaltung einer Krankheit.
Somatoforme Störung Symptome
Zahlreiche körperliche Beschwerden oder Erkrankungen gehören zu den somatoformen Störungen. Die körperlichen Beschwerden können sich auf ganz unterschiedliche Weise zeigen. Zu den somatoformen Symptomen zählen beispielsweise:
- Kopfschmerzen (Spannungskopfschmerz)
- Migräne
- Bewegungsapparat: unspezifische Rückenschmerzen, Schmerzen in Armen und Beinen, Nackenschmerzen
- Magen-Darm-Trakt: Reizdarm, Aufstoßen, Blähungen, Übelkeit, Völlegefühl, Durchfall, Verstopfung
- Herz-Kreislauf-System: Brustschmerzen, Herzrasen, Herzstolpern, Herzstechen, Druckgefühl
- Engegefühl im Hals
- Atmungssystem: Atemprobleme
- funktionelle Schlafstörungen
- Müdigkeit (Chronic Fatigue-Syndrom)
- Konzentrationsschwäche
- Erschöpfung
- Fibromyalgie
- Bluthochdruck
- Harnwege: Schmerzen beim Wasserlassen
- dissoziative Störungen (Gedächtnisstörung, Abgestumpftheit, Selbstentfremdung)
In vielen Fällen gehen somatoforme Störungen auch mit psychischen Beschwerden wie Angst oder einer Depression einher. Diese Symptome sind oft eine Folge des Leidens, welches mit der somatoformen Störung verbunden ist.
Formen der somatoformen Störung – Subtypen nach ICD-10
Die somatoforme Störung lässt sich aufgrund der jeweils zugrundeliegenden Symptome in verschiedene Formen einteilen. Diese sind im weltweit genutzten Klassifikationssystem zur medizinischen Diagnostik von Erkrankungen und Beschwerden, dem ICD 10-Schlüssel, festgehalten. Danach gibt es:
- die hypochondrische Störung
- die Somatisierungsstörung
- die somatoforme autonome Funktionsstörung
- die undifferenzierte Somatisierungsstörung
- die anhaltende somatoforme Schmerzstörung
Die hypochondrische Störung
Bei der hypochondrischen Störung steht die Angst vor einer möglichen Erkrankung im Vordergrund. Daher ist diese Form im Grunde eine Angststörung, die sich körperlich in typischen Angstreaktionen zeigt. Wirklich krankhafte Körperbeschwerden liegen aber nicht vor. Die Betroffenen erleben in der Regel normale Körperfunktionen als von der Norm abweichend und halten sich aus diesem Grund für krank. Beispielsweise glauben sie, dass ein zeitweiser erhöhter Herzschlag von einer schweren Herzerkrankung herrührt. Dabei sind sie wegen einer erhöhten Angstneigung einfach aufgeregt. Viele Patienten glauben weiterhin an eine organische Erkrankung, auch wenn der Arzt keine körperliche Ursache für ihr Leiden finden konnte.
Bei der hypochondrischen Störung nimmt die gedankliche Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Erkrankung so viel Raum ein, dass die Lebensqualität der Betroffenen erheblich eingeschränkt ist. Patienten leben sehr häufig und anhaltend in großer Angst um die eigene Gesundheit und ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück. Die psychischen Symptome dauern bei dieser psychischen Störung mindestens 6 Monate an. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen.
Die Somatisierungsstörung
Bei der Somatisierungsstörung liegen mindestens 2 Jahre Beschwerden vor, für die sich keine körperliche Ursache finden lässt. Dabei dominieren Beschwerden aus zwei verschiedenen Symptomgruppen, beispielsweise chronische Müdigkeit und spezifische Magen-Darm-Beschwerden.
Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung
Die anhaltende Schmerzstörung ist durch starke, chronische Schmerzen über einen längeren Zeitraum hinweg charakterisiert. Diese halten mindestens 6 Monate an und sind ebenfalls auf keine organische Ursache zurückzuführen. Und wenn eine körperliche Störung vorliegt, dann erklärt sie nicht die Intensität der Schmerzen. Bei der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung wandern die Schmerzen oft, manifestieren sich also nacheinander an verschiedenen Orten des Körpers. Auch die Art des Schmerzes verändert sich im Verlauf der Erkrankung. Die somatoforme Schmerzstörung führt bei den Betroffenen dazu, dass ihr Alltag von heftigen Schmerzen dominiert wird. Frauen und Männer sind von dieser Form der psychosomatischen Erkrankung gleichermaßen betroffen.
Die somatoforme autonome Funktionsstörung
Die autonome Funktionsstörung ist die am häufigsten diagnostizierte Form der somatoformen Störungen. Etwa 25 % der Deutschen erkranken einmal im Leben daran. Das besondere Merkmal ist hier, dass es zu körperlichen Beschwerden an den Organen kommt, die vom vegetativen (autonomen) Nervensystem gesteuert werden. Dazu gehören etwa der Magen-Darm-Bereich, das Herz, die Lunge und die Blase. Die Beschwerden reichen dementsprechend von Atemnot über Herzstolpern und Brustschmerzen bis hin zu Schwindel, Verstopfung und Durchfall.
Die undifferenzierte Somatisierungsstörung
Bei der undifferenzierten Somatisierungsstörung liegen verschiedene körperliche Symptome vor, die sich aber keinem der anderen Subtypen zuordnen lassen. Auch sind die Symptome weniger stark ausgeprägt. Sie bleiben ebenfalls über längere Zeit bestehen – mindestens 6 Monate lang.
Häufigkeit der somatoformen Störung
4-11% der Deutschen sollen von einer somatoformen Störung betroffen sein. Oft machen sich die ersten körperlichen Symptome der psychischen Störung schon vor dem 20. Lebensjahr bemerkbar. In Deutschlands Arztzimmern sollen bis zu 25% aller Patienten an einer somatoformen Störung leiden. Bei den Fachärzten sollen es gar 30% sein. Im stationären Bereich wurde von einem noch höheren Anteil somatoformer Störungen berichtet. Eines weiß man sicher: Die Zahl der Betroffenen hat in den letzten Jahren besonders stark zugenommen.
Ursachen der somatoformen Störung
Viele Patienten mit einer somatoformen Störung glauben, dass ihre Beschwerden eine organische Ursache haben müssen. Dem ist aber nicht so. Vielmehr liegen die Gründe für das Entstehen und Fortbestehen ihrer Erkrankung im seelischen Bereich. In der psychosomatischen Medizin, der Psychologie und der ganzheitlich arbeitenden Alternativmedizin weiß man schon lange um den engen Zusammenhang von Psyche und Körper. Es ist bewiesen, dass ungelöste seelische Konflikte und anhaltende psychische Belastungssituationen uns nicht nur mental und emotional belasten, sondern eben auch auf körperlicher Ebene Beschwerden hervorrufen können.
Experten sehen die Ursache für somatoforme Störungen in folgenden Belastungsfaktoren:
- große Probleme in der Paarbeziehung
- Stress im Job oder Probleme mit Kollegen
- Probleme mit anderen nahestehenden Personen des sozialen Umfelds
- existenzielle Sorgen wie prekäre Beschäftigung, finanzielle Probleme, Jobverlust, ungünstige Wohnverhältnisse
- Überforderung im Job oder im privaten Umfeld
- negative Lebenseinstellung mit anhaltenden negativen Gedanken, Sichtweisen und Verhaltensweisen
- Trauma in der Kindheit wie sexueller Missbrauch, Gewalterfahrung, Vernachlässigung
- Unfähigkeit, die eigenen Gefühle auszuleben
- bestimmte Persönlichkeitsstruktur (ängstlich-selbstunsicherer Typ)
- (wahrscheinlich) eine Veranlagung
Ungelöster seelischer Konflikt aus Kindheitstagen als Ursache für eine somatoforme Störung
In der Psychoanalyse geht man davon aus, dass bei der somatoformen Störung der seelische Konflikt auf körperlicher Ebene ausgetragen wird. Die Daueranspannung der Seele wird quasi auf den Körper umgelegt. Oft tritt die somatoforme Störung auch in Form einer generalisierten Angststörung in Erscheinung. Häufig beobachten Experten für psychosomatische Medizin, dass hinter den somatoformen Symptomen ein Kindheitstrauma steht. Dabei kann es sich um sexuellen Missbrauch oder eine andere Gewalterfahrung körperlicher oder psychischer Natur handeln. Nicht nur Schläge, die man in Kindheitstagen erhalten hat, machen einen im Erwachsenenalter anfällig für diese psychische Störung. Auch wenn man emotional vernachlässigt wurde, keine oder zu wenig Liebe oder Wertschätzung bekommen hat, erkrankt man im Erwachsenenalter häufiger an der somatoformen Störung.
Aktuelle Belastungssituationen als Ursache für somatoforme Störung
Neben unbewältigten Belastungssituationen aus der Kindheit kann sich auch aktueller Stress in körperlichen Beschwerden niederschlagen und eine somatoforme Störung herbeiführen. Vor allem wenn der Stress über längere Zeit anhält, kann der Körper seine Selbstheilungskräfte nicht entfalten und wird bzw. bleibt krank. Hier können es Belastungssituationen wie finanzielle Probleme durch Jobverlust oder einem zu geringen Einkommen oder prekäre Beschäftigung sein. Aber auch eine überfordernde Arbeit mit schlechten Arbeitsbedingungen steigert das Risiko für somatoforme Störungen. Probleme im zwischenmenschlichen Bereich wie Ärger mit Kollegen (Mobbing), dem Chef oder anderen Menschen des sozialen Umfelds begünstigen ebenso somatoforme Störungen.
Unglückliche Beziehung als Ursache für somatoforme Störungen
Es ist aber auch möglich, dass eine unglückliche Paarbeziehung hinter einer somatoformen Störung steckt. Krankmachende Beziehungen sind solche, in denen der Respekt voreinander verlorengegangen ist, in denen ein Teil – meist die Frau – unterdrückt, kleingehalten und abhängig gehalten wird. Gerade wenn körperliche oder psychische Gewalt in der Beziehung vorkommt, ist das für die Psyche außerordentlich belastend. Dann sind psychische und somatoforme Störungen die logische Konsequenz.
Perfektionismus und übertriebener Leistungsanspruch als Ursache für die somatoforme Störung
Sehr häufig wird die somatoforme Störung auch bei Menschen beobachtet, die sehr viel von sich selbst und anderen verlangen. Ein übersteigerter Perfektionismus und Leistungsanspruch in der Arbeit und im privaten Leben ist ein großer Risikofaktor für die Entwicklung einer somatoformen Störung. In unserer Leistungsgesellschaft herrscht ein gnadenloser Wettkampf darum, wer am schnellsten, effektivsten und am besten ist. Dieser allgegenwärtige Leistungsdruck führt zur Ausbeutung von Körper und Seele, die nach einer bestimmten Zeit nicht selten in einer somatoformen Störung mündet. Körperliche Symptome wie dauerhafte Erschöpfung und Müdigkeit sind heute weit verbreitet. Das zeigt bereits, wie viele Menschen heute unter dem zu hohen Leistungsanspruch zusammenbrechen und krank werden.
Zu große Hilfsbereitschaft begünstigt die somatoforme Störung
Viele Menschen entwickeln aber auch eine somatoforme Störung, weil sie sich dauerhaft zu viel zumuten. Sie verstehen dann nicht, dass sie plötzlich krank werden und eine somatoforme Störung entwickeln. Die meisten spüren ihre Erschöpfung gar nicht oder haben sich längst an die bleierne Müdigkeit gewöhnt. Oft betrifft es die sehr hilfsbereiten Menschen, die beispielsweise in den sozialen Berufen arbeiten. Viele selbstlose Menschen opfern sich liebend gern für andere auf, gönnen sich selbst aber kaum eine Ruhepause oder Entspannung. Auch haben engagierte Menschen oft Probleme damit, sich selbst Hilfe zu suchen. Sie denken, sie würden alles allein schaffen und wollen niemandem zur Last fallen. Dadurch geraten sie in einen Zustand der permanenten Überforderung und Erschöpfung.
Negative Weltsicht als Ursache für die somatoforme Störung
Wer regelmäßig negative Gedanken und Gefühle hat, der entwickelt früher oder später eine negative Sichtweise auf die Welt. Er wird dann alles nur noch durch diese schwarze Brille sehen und danach handeln. Auch wenn diese Negativität meist auf schlechten Erfahrungen beruht, ist es der Gesundheit förderlich, sie abzulegen.
Denn negative Gedanken und vor allem negative Gefühle wie Wut, Ärger, Neid, Traurigkeit und chronische Unzufriedenheit belasten die Psyche enorm und schwächen den Körper. Dies gilt vor allem dann, wenn sie schon lange anhalten. Dann reagiert der Körper auf den seelischen Dauerstress mit körperlichen Symptomen. Es ist bewiesen, dass seelischer Negativstress Auswirkungen bis auf die Organebene hat. Auch die Stoffwechselaktivitäten, unser Immun- und Hormonsystem sowie unsere DNA bleiben davon nicht unberührt. Wir alle kennen diesen Zusammenhang aus den alten Volksweisheiten: „Der Stress schlägt mir auf den Magen.“ oder „Mir bleibt vor Schreck das Herz stehen.“ Andauernder Negativstress schwächt das Immunsystem und leistet funktionellen Störungen wie Durchfall (Reizdarm), Kopfschmerzen oder Atembeschwerden Vorschub.
Somatoforme Störung Diagnose
Für eine Diagnose der somatoformen Störung ist es notwendig, dass der Arzt zunächst die körperlichen und psychischen Beschwerden erfragt. Typisch für die somatoforme Störung ist ein breites, vielschichtiges Beschwerdebild, bei dem die Symptome bereits über längere Zeit anhalten. Um körperliche Erkrankungen auszuschließen, werden je nach Beschwerden Laboruntersuchungen (Blut, Urin) und andere Verfahren (z. B. Magenspiegelung, Darmspiegelung) veranlasst. Auch das Röntgen (etwa der Lunge), ein MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie bei Rückenschmerzen) oder ein EKG zur Überprüfung der Herzgesundheit können zum Einsatz kommen.
Nachdem alle möglichen medizinischen Diagnose-Verfahren durchgeführt und ergebnislos geblieben sind, stellt der Arzt die Diagnose somatoforme Störung. Dabei sollte der Arzt dem Patienten klar vermitteln, dass die somatoformen Beschwerden eine psychische Ursache haben. Da viele Betroffene das nicht glauben können, ist es wichtig, dass der Arzt über die somatoforme Störung und deren Ursachen aufklärt. So verhindert der Mediziner, dass die Patienten das Vertrauen in die Ärzteschaft verlieren. Denn typisch für Patienten mit somatoformen Störungen ist ein Ärzte-Hopping. Dahinter steht die Hoffnung, doch noch eine organische Ursache ausfindig machen zu können.
Somatoforme Störung: Therapie
Es gibt bei der somatoformen Störung keine einheitliche Therapie. Je nachdem, welche Beschwerden vorliegen, werden entsprechende Maßnahmen ergriffen. Um die Symptome zu lindern, werden Medikamente, psychotherapeutische Verfahren sowie Entspannungstechniken eingesetzt. Aber es gibt auch viel, was man selbst tun kann, um die Beschwerden abzumildern. Folgende Verfahren, Therapien und Maßnahmen haben sich in der Behandlung einer somatoformen Störung bewährt:
- Aufbau einer guten Arzt-Patienten-Beziehung
- Aufklärung über somatoforme Störungen und mögliche Ursachen durch den Arzt
- medikamentöse Therapie zur Behandlung der körperlichen oder psychischen Symptome
- kognitive Verhaltenstherapie
- ggf. Traumatherapie
- Beschwerdetagebuch
- multimodale Therapie
- Physiotherapie
- Entspannungstraining
- Sport
- aktive Selbstfürsorge: Zeit für Ruhe und Ausgleich nehmen
- Selbstachtsamkeit: tägliche „Gedankenhygiene“ zur Wiederherstellung des körperlich-seelischen Gleichgewichts
Aufbau einer guten Arzt-Patienten-Beziehung
Eine gute Arzt-Patienten-Beziehung ist gerade bei den somatoformen Störungen sehr wichtig. Für den Behandlungserfolg sind Vertrauen und das Verständnis für das Leiden durch den Arzt essenziell. Fühlt sich der Patient in seinen Beschwerden nicht ernstgenommen, verliert er schnell das Vertrauen in den Arzt und bricht die Behandlung ab.
Aufklärung über die somatoforme Störung
Damit Betroffene nicht denken, sie würden sich ihre Beschwerden nur einbilden, weil sie psychisch begründet sind, ist eine ausführliche Aufklärung über das Krankheitsbild durch den Arzt unerlässlich. Denn erst wenn der Patient versteht, dass bestimmte psychische Belastungen (Stress) in seinem Leben die körperlichen Beschwerden verursacht haben und weiterhin aufrechterhalten, kann er die Erkrankung überwinden und die Therapie aktiv mitgestalten.
Beschwerdetagebuch zur Feststellung des Symptomverlaufs
In einem Beschwerdetagebuch hält der Patient jeden Tag fest, wann er was gemacht hat. Damit können etwaige Belastungssituationen besser herausgestellt werden. Der Arzt kann so gut erkennen, was die Symptome möglicherweise hervorruft oder verstärkt. Auch lässt sich der Symptomverlauf besser nachvollziehen. Daraus ableitend können krankmachende Verhaltensweisen aufgegeben oder dergestalt verändert werden, dass die Beschwerden zurückgehen.
Somatoforme Störung medizinisch behandeln
Somatoforme Störung – mit Medikamenten gegen die körperlichen und psychischen Beschwerden
In der Behandlung der somatoformen Störung kommen häufig Medikamente zum Einsatz. Je nach Beschwerden können Schmerzmittel etwa gegen Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen oder Muskelentspannungsmittel wie im Falle von Spannungskopfschmerz eingesetzt werden. Aber auch entzündungshemmende Mittel werden verabreicht. Bei Beschwerden im Magen-Darm-Bereich kommen entsprechend gasreduzierende Medikamente bei Blähungen oder Säureblocker gegen Sodbrennen zum Einsatz.
Gegen psychische Symptome im Zusammenhang mit einer somatoformen Störung wie Angst oder eine Depression können angstlösende Medikamente oder Antidepressiva helfen. Dies ist etwa im Rahmen der hypochondrischen Störung sinnvoll, in der besonders die Angst vor einer möglichen Erkrankung im Vordergrund steht. Behandelt man die psychischen Symptome im Zusammenhang mit einer somatoformen Störung mit, können sich auch die körperlichen Beschwerden bessern. Bei Schlafstörungen kommen häufig Beruhigungs- und Schlafmittel zur Anwendung.
Wichtig bei der medikamentösen Therapie ist, dass sie möglichst nicht länger als nötig verfolgt wird. Denn manche Medikamente wie Schlafmittel, aber auch Antidepressiva, bergen das Risiko, schnell abhängig zu werden. Zudem haben Medikamente Nebenwirkungen, die zu anderen Gesundheitsproblemen führen können. Daher ist die medikamentöse Therapie nur bei stärkeren Beschwerden oder zeitweise anzuraten. Probiere zunächst besser erst alternative Methoden aus.
Physiotherapie zur Behandlung von Schmerzen bei somatoformer Störung
Zur Behandlung von somatoformen Schmerzen etwa Rückenschmerzen oder Nackenschmerzen kann eine Physiotherapie mit Massagen und Wärmeanwendung angezeigt sein. Oft entstehen Schmerzen im Rücken-Nacken-Bereich aber auch durch eine zu schwache Muskulatur. In der Physiotherapie werden dem Patienten sportliche Übungen gezeigt, wie er eine Linderung der Beschwerden durch regelmäßige Kräftigung des Körpers erzielen kann.
Multimodale Therapie bei Schmerzen
Bei Rückenschmerzen als Leitbeschwerde der somatoformen Störung kann die multimodale Therapie gute Behandlungserfolge erzielen. Dieses Therapiekonzept kommt vor allem im Rahmen der stationären Behandlung zum Einsatz. Es kombiniert verschiedene Behandlungsansätze miteinander. Bei der Fibromyalgie beispielsweise, bei der es zu Schmerzen an Armen, Beinen und Rücken kommt, besteht die multimodale Therapie aus Bewegungstherapie, Physiotherapie, medikamentöser Behandlung, Achtsamkeitstraining und Psychotherapie.
Somatoforme Störung und kognitive Verhaltenstherapie
Psychotherapien wie die kognitive Verhaltenstherapie können Patienten mit einer somatoformen Störung dabei helfen, den inneren seelischen Konflikt oder die aktuelle Belastungssituation zu bewältigen. In der Verhaltenstherapie geht es auch darum, Betroffene für negative Gedanken- und Verhaltensmuster sowie negative Gefühle zu sensibilisieren. Das Ziel der Therapie ist es, belastende Einstellungen, Verhaltensweisen und Emotionen abzulegen und günstigere anzunehmen. Das entlastet die Seele, wodurch körperliche Schmerzen und Beschwerden abnehmen können. Manche Menschen befreien sich mit der Verhaltenstherapie aus einer unglücklichen Beziehung, andere, überengagierte Menschen verstehen, dass sie zwischendurch auch mal an sich denken müssen.
Auch erlernen Betroffene in der Verhaltenstherapie Bewältigungsstrategien im Umgang mit Angst, die häufig im Zusammenhang mit einer somatoformen Störung auftritt. Dazu gehören beispielsweise Entspannungstechniken. Bei der hypochondrischen Störung steht die Bewältigung der Angst als Leitsymptom besonders im Mittelpunkt. Hier soll der Patient mithilfe des Therapeuten zu einer gesunden Körperwahrnehmung zurückfinden, ohne normale Körperfunktionen als krankhaft zu empfinden.
Somatoforme Störung und EMDR (Traumatherapie)
Bei einem erlittenen Trauma in der Kindheit ist eine psychotherapeutische Aufarbeitung der belastenden Erfahrung unerlässlich, wenn die somatoforme Störung abgemildert werden soll. Hier können auch tiefenpsychologische Verfahren Betroffenen weiterhelfen. Ein anerkanntes Verfahren zur Überwindung eines Traumas ist beispielsweise EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing = „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung“). Dabei erlebt der Patient die traumatische Situation noch einmal. Währenddessen schaut er auf die sich nach links und rechts bewegende Hand des Psychotherapeuten. Die Augenbewegung soll dabei helfen, die Erinnerungen zu aktivieren und das Erlebte zu verarbeiten. Sie ist der Augenbewegung ähnlich, die wir im REM-Schlaf ausführen. Das ist die Schlafphase, in der wir verstärkt und besonders intensiv träumen.
Somatoforme Störung und Hypnotherapie
Bei der somatoformen Störung kann auch eine Hypnotherapie die Symptome abmildern helfen. Dabei versucht der Therapeut sich durch den Vorgang des Hypnotisierens Zugang zum Unbewussten des Patienten zu verschaffen. In einem tranceähnlichen Bewusstseinszustand des Patienten wird nun versucht, den krankmachenden inneren seelischen Konflikt – beispielsweise das Trauma – zu bearbeiten und aufzulösen.
Somatoforme Störung und Gruppentherapie
Eine Psychotherapie kann individuell oder in einer Gruppe durchgeführt werden. Eine Gruppentherapie hat den Vorteil, dass man sieht, dass man mit seinem Problem nicht allein dasteht. Man bekommt die Möglichkeit, vom Verhalten der anderen zu lernen. Oft wird Betroffenen ihr eigenes Verhalten gespiegelt. Plötzlich kann man über Dinge wie einen übersteigerten Ordnungssinn oder einem überhöhten Leistungsanspruch lachen, was man bei sich selbst nie könnte. Das kann dabei helfen, die seelischen Belastungen aufzulösen.
Somatoforme Störung und Entspannungsverfahren
Einmal gelernt – sei es von einem Therapeuten oder über eine CD – kann eine Entspannungsmethode dabei helfen, somatoforme Beschwerden abzumildern. Dies gilt aber nur, wenn die Entspannungsmethode regelmäßig praktiziert wird. Besonders zu empfehlen sind hier die progressive Muskelentspannung nach Jacobson und das Autogene Training. Aber auch die fernöstlichen Entspannungstechniken wie Qi Gong oder Tai Chi haben sich bei somatoformen Störungen wie der Fibromyalgie bewährt. Der Effekt all dieser Techniken ist, dass mithilfe von Körperübungen oder sprachlichen Botschaften sowohl der Körper als auch die Psyche zur Ruhe gebracht werden. Dadurch wird der Stresslevel abgesenkt, wodurch sich auch die körperlichen Symptome bessern können.
Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Bei der Muskelentspannung nach Jacobson werden bestimmte Muskelgruppen abwechselnd angespannt und wieder lockergelassen. Durch diese erhöhte Selbstwahrnehmung sollen Patienten mit einer somatoformen Störung lernen, wie sich Entspannung im Unterschied zur Anspannung anfühlt. Wird dieses Verfahren regelmäßig praktiziert, kann man diese Entspannung auf den Alltag übertragen und bleibt auch in stressigen Phasen körperlich und psychisch gelassen. Das Ziel der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson ist es, die innere Dauerspannung, die charakteristisch für Patienten mit somatoformer Störung ist, zu durchbrechen.
Autogenes Training
Auch das Autogene Training kann gerade bei der somatoformen Störung positive Heileffekte erzielen. Hier wird mit entspannungsfördernden Botschaften an sich selbst („Autosuggestionen“) gearbeitet. „Mein Arm ist schwer“ oder „Mein Atem geht ruhig“ sind hier typische Sätze. Im fortgeschrittenen Stadium wird beim Autogenen Training mit komplexeren positiven Gedankenbildern gearbeitet. Dabei durchstreift man etwa eine blühende Sommerwiese und soll den Wind, den Duft der Blumen und das Vogelgezwitscher wahrnehmen. Beim Autogenen Training versucht man also, Körper und Psyche kraft der eigenen Vorstellung Schritt für Schritt immer mehr zur Ruhe zu bringen und so eine bestehende Daueranspannung durch Stress abzubauen.
Selbstfürsorge bei somatoformen Störungen
Ganz wichtig im Zusammenhang mit einer somatoformen Störung ist die tägliche Selbstfürsorge, die auf Selbstliebe beruht. Damit ist gemeint, dass Du versuchst, auch im Alltag zwischendurch gut zu Dir selbst zu sein. Schaue, was Du tun kannst, um Dich zu entspannen und Dir Zeit für Dinge zu nehmen, die Dir guttun. Bist Du glücklich, sind es Deine Seele und Dein Körper auch. Dann arbeiten die Selbstheilungskräfte für Dich.
Suche Dir bei Überlastung Hilfe. Lege Pausen zwischen der Arbeit ein, um neue Kraft zu schöpfen. Lerne wieder in Dich hineinzuhören, auf das, was Du brauchst. Schütze Dich weitgehend vor dem manipulativen Negativeinfluss der Medien. Versuche, überwiegend positive Gedanken und vor allem positive Gefühle zu pflegen. In der Alternativmedizin wird dies auch „Gedankenhygiene“ genannt. Damit ist die tägliche „Programmierung“ des Geistes auf „positiv“ gemeint. Denn positive Gedanken und Gefühle (insbesondere Liebe und Selbstliebe) besitzen Heilkraft. Sie fördern Dein Wohlbefinden. Andauernde negative Emotionen hingegen wirken zerstörerisch auf Psyche und Körper.
Versuche, wo es geht, einen überhöhten Leistungsanspruch und Perfektionismus herunterzuschrauben. Auch Sport und Bewegung sowie eine gesunde Ernährung gehört zu einer aktiven Selbstfürsorge. Dabei ist es egal, ob Du schwimmen, laufen oder walken gehst. Die Hauptsache, Du bleibst in Bewegung. Denn Sport stärkt nicht nur Deine Muskeln, sondern er senkt auch das Schmerzempfinden und regt den Stoffwechsel an. Sport lässt Deinen Geist wacher, Deine Seele glücklicher und Deinen Körper widerstandsfähiger werden.
Somatoforme Störung – Verlauf und Prognose
Je früher eine somatoforme Störung erkannt und eine geeignete Therapie eingeleitet wird, desto besser sind die Heilungschancen. Dadurch kann womöglich verhindert werden, dass die somatoforme Störung einen chronischen Verlauf nimmt. Wichtig für den Behandlungserfolg ist auf jeden Fall die Mitbehandlung der Psyche. Werden die zugrundeliegenden seelischen Konflikte oder Belastungsfaktoren aufgespürt und erfolgreich aufgearbeitet, stehen die Prognosen für eine Linderung der somatischen Beschwerden oder einer Heilung gut.